Dieses Kapitel soll anhand einer bisher noch nicht veröffentlichten Zeugenaussage zeigen, wie sich das KZ Bisingen für einen beteiligten Menschen darstellte. Herr Josef Henle lebt seit 1944 in Bisingen und war von Anfang an im KZ als Leiter des Schweißtrupps beschäftigt.
Frage: Wie kamen Sie ins KZ Bisingen?
Henle; Ende April l944wurdeichdienstverpflichtet als Montageleiter des Schweißtrupps. Ich half mit beim Aufbau des KZs und hatte auch mein eigenes Büro. Ich wurde von meiner Heilbronner Firma bezahlt (Ernst Schedler, Dammstr. 27), dann von der DÖLF (der Betriebsleiter war von Gomaringen). Ich hatte damals die Wahl, als Soldat eingezogen oder zur Ölschiefergewinnung eingesetzt zu werden.
Frage: Wie ging der Aufbau des Lagers vor sich?
Henle: Abholzen, Einebnung, Umzäunung, Grabarbeiten, Rohre verladen und verlegen; die Rohre wurden zum Schwelen gebraucht, der Durchmesser war 1,70m. Der Aufbau dauerte 3 – 4 Monate, in dieser Zeit und noch lang nachher gab es keinerlei Produktion.
Frage: Wann und woher kamen die ersten Häftlinge?
Henle: Anfang August 1944, es waren ca. 1500 Männer, Juden und Polen (z.T. Zivilisten), Franzosen, Deutsche (Befehlsverweigerer und Diebe), aber auch einfache Kriegsgefangene Polen, Franzosen und viele andere – in der Mehrzahl Russen.
Beim ersten Häftlingstransport waren bereits 15 Tote dabei, die die Fahrt nicht überlebt hatten. Die Häftlinge kamen vom Bahnhof aus über die Wiesen direkt zum Lager.
Am Anfang wurden durch mich alle Namen und Geburtsorte der Häftlinge registriert. Eine andere Liste befand sich beim Bürgermeister Pflumm, die aber später verbrannt wurde. Nach einiger Zeit habe ich dann nur noch die Nummern geführt.
Es kamen laufend neue Häftlingstransporte, und es wurden ständig auch Häftlinge von Bisingen in andere Lager verlegt.
Frage: Wie sah das Lager im August 1944 aus?
Henle: Am Anfang standen nur Zelte, primitive Planen, im Morast und im Wasser, ab und zu wurden dann 10 cm Sägemehl in die Zelte gestreut.
Dann wurden schnell 6 Baracken (Pferdeställe) aufgebaut, drei Bretter übereinander zum Schlafen. Zum Teil wurden halbverfaulte Dielen auf die Erde gelegt, ein richtiger Boden war das nicht. Die Gefangenen berichteten mir oft über den Streit, der sich in der Nacht wegen der Dekke entwickelte: denn nur jeder zweite oder dritte hatte eine; Stroh zum Wärmen gab es nicht.
Das Klo bestand nur aus einem „Donnerbalken‘.‘ (zwei Pfosten in der Erde, ein Balken darüber, dahinter eine Grube).
Frage: Wieviele Häftlinge und wieviele Zivilisten arbeiteten im KZ?
Henle: Etwa 1000 Häftlinge und ca. 350-400 Zivilisten; 18 – 20 SS-ler und 15 – 20 Mann Wachmannschaft, die von der Wehrmacht waren. Unter den Zivilisten waren keine Bisinger.
Frage: Wie war die Arbeit der Häftlinge?
Henle: Die Häftlinge wurden in Kolonnen eingeteilt, es gab z.B. eine Schweißkolonne, Transportkolonne, Feldschmiede… Die Häftlinge waren hauptsächlich mit Schieferabbau beschäftigt. Es gab auch große Maschinen, aber man konnte nicht alles damit machen.
Mein Trupp war sehr beliebt, die Häftlinge rissen sich um die Einteilung bei mir. Der Grund war, dass sie wussten, dss es bei mir fast immer etwas extra gab (Lebensmittel), und außerdem fanden sie humanere Arbeitsbedingungen. Weil es so ein Gedränge gab und die Kapos mit ihren Knüppeln so brutal drein schlugen, hat es manchmal schon bei der Einteilung 4 – 5 Tote gegeben.
Alle 3 Wochen bin ich nach Heilbronn gefahren; meine Schwester war dort bei der Handelskette „Lichdi“ und hat mir immer die Brotmarken gegeben. Einmal hatte ich 100 Marken auf einmal; diese Brote habe ich den Häftlingen gegeben. Bei der Aufteilung des Brotes in meinem Transportzug (10 Mann) hat man fast weinen müssen, wie genau und gerecht die Gefangenen das Brot untereinander aufteilten: es ging um jede Brotkrume.
Vom Kühlen Grund herauf wurde eine Wasserleitung gelegt. (Pumpen zum Kühlen und Waschen; die Leitung war 80 cm tief und hatte einen Durchmesser von 20 cm). Bei diesen Arbeiten starben mindestens 150 Menschen.
Frage: Wie war das Verhältnis zu den Vorgesetzten?
Henle: Die älteren Wachleute waren ziemlich kulant, sie schlugen kaum und klagten die Zustände z.T. selbst an. Die jungen SS-ler waren dagegen ausgesprochen fanatisch und brutal.
Hoffmann war ein furchtbar brutaler Mensch mit scharfem Hetzhund. Er ließ die Leute grundlos erschießen und betrachtete die ihm untergebenen Häftlinge als Gesindel; einmal ’sagte er: „Je mehr von dem Pack verreckt, desto besser! Wir haben überall volle Lager!“
Frage: Wie sah es mit dem körperlichen Zustand der Häftlinge aus?
Henle: Die Häftlinge mussten schwer arbeiten, bekamen aber kaum etwas zu essen. Die meisten waren auch im Winter barfuß oder trugen Holzschuhe. Sie waren mit Drillichanzügen (gestreifte Sträf lingsanzüge) ohne Unterkleider bekleidet. Von der SS zugesagte Gummistiefel und Laufstege kamen nie an.
Unter tags gab es kaum etwas zu essen. Das Hauptessen bestand aus Wassersuppe, ab und zu gab es einmal Eintopf. Das Essen musste im Stehen, meist ohne Besteck eingenommen werden. Sie mussten fressen wie Hunde!
Kranke und Arbeitsunfähige ließ man verrecken. So sollte zum Beispiel einer der Häftlinge der SS etwas holen, fiel aber dabei immer wieder hin, vor Schwäche.
Einer von den SS-lern gab ihm immer wieder einen Tritt. Dann hat er ihm, glaub ich, mit dem Revolvergriff einen Schlag versetzt und ihn liegen lassen.
Überhaupt waren die Aufseher brutal: einmal verarztete ich einen Gefangenen mit einem Geschwulst. Ein junger SS-Mann riß ihm den Verband einfach ab.
Frage: Ist Ihnen eine bestimmte Begebenheit noch besonders in Erinnerung?
Henle: In der Feldschmiede war auch ein Häftling, der Werkzeuge härten konnte, der verstarb auch. Es war nun keiner mehr da, der härten konnte, da hab ich es selbst gemacht mit Hilfe zweier Häftlinge. Zwischendrin musste ich dringend weg an eine Pumpe, die ausgefallen war. Ich sagte den zwei Häftlingen: „Ihr bleibt da und schaut, daß das Feuer nicht ausgeht, ich komme gleich wieder.“
Als ich zurück kam, lagen die zwei auf dem Boden. Sie waren von zwei jungen SS-lern (höchstens 19 bis 20 Jahre alt) zusammengeschlagen worden. Ich hab mit ihnen (den SS-lern) Streit bekommen und habe sie alles geheißen. „Was seid denn ihr für Kerle! Wenn ihr heute einen Wortwechsel mit euren Eltern habt, dann schlagt ihr sie zusammen oder knallt sie über den Haufen.“
Wenn ich noch mal so einen frechen Mund habe, könnte ich morgen denen im Lager Gesellschaft leisten, hat es geheißen. Ich bin zu den zwei Häftlingen und habe sie, nachdem sie aufgestanden waren, gefragt: „Welcher hat dich zusammengeschlagen?“ Er zeigte auf einen der SS-ler. Dieser zog die Knarre und knallte ihn einfach über den Haufen (aus 2 – 3 m Entfernung mit 2 oder 3 Kugeln in den Kopf). Dann wollten sie weggehen und sprachen miteinander, was ich aber nicht verstand; beim Weggehen zog der andere die Knarre und schoss den zweiten Häftling ebenfalls tot. Es war mittags gegen 14 Uhr.
Öfters habe ich gesehen, wie einem auf dem Donnerbalken vor die Füße geschossen wurde; er ist durch den Schreck in die Jauche hinten runter gefallen.
Ein Gefangener wurde an einem Rohrgerüst mit einem Haken aufgehängt; einer meiner Schweißer hat das Gerüst heimlich mit dem Schneidbrenner durchtrennt, so daß es umgefallen ist; man hat ihn nicht erwischt!
Frage: Haben sich Bisinger beschwert?
Henle: Ich weiß davon nichts. Ich war beim Bürgermeister, der hat gesagt: „Mir sind die Hände gebunden, ich bin da machtlos.“ Ich habe ihn öfters getroffen und auch über die Zustände mit ihm gesprochen.
Frage: Wie war das Verhalten der Häftlinge untereinander?
Henle: Aus den Reihen der Häftlinge wurden Kapos (meist Kriminelle) aussortiert. Auf ca. 1000 Mann kamen dabei mindestens 15 Kapos, eher mehr.
Die Kapos nahmen keine Rücksicht auf die eigenen Leute, sie schlugen sie sogar mit ihrem Prügel. Sie wollten sich bei der SS lieb Kind machen und wurden dafür mit besserem Essen entlohnt.
Jeder Gefangene wollte die eigene Haut retten. Den umgekommenen Häftlingen wurden z. B. sofort die Kleider vom Leib gerissen.
Frage: Wie war das Verhalten der Bisinger Bevölkerung?
Henle: Im Bisinger Heimatbuch wird behauptet, dass sich Bisinger Bürger bei den SS-Aufsichtsbehörden beschwert haben; davon weiß ich nichts. Es gab keinen organisierten Widerstand, sondern vereinzelte Hilfsbereitschaft der Bisinger: einige stellten Lebensmittel an den Straßenrand. Diese Hilfsbereitschaft wurde von der SS unter Androhung der Inhaftierung weitgehend abgestellt.
Einige Häftlinge haben auch Spielzeug (aus Holz z.B.) gebastelt, das sie für ein Stück Brot weg gaben.
Frage: Was geschah mit den Toten?
Henle: Nach dem Tod wurden den Häftlingen von den eigenen Mitgefangenen die Goldzähne und Goldplomben ausgebrochen und gegen Brot oder andere Nahrungsmittel getauscht.
Die Sträflinge mussten dann die Toten in zuvor gegrabenen Löchern bestatten. Ein Mithäftling sprach ein paar Worte am „Grab“. Das Massengrab befand sich 400 – 500 m rechts vom heutigen KZ-Friedhof.
Frage: Gab es Fluchtversuche?
Henle: Ich kann mich erinnern, dass einmal ein entflohener Häftling von Hofmanns Hunden aufgespürt wurde. Am nächsten Tag wurde er zur Abschreckung nackt an einer Stange aufgehängt.
Frage: Gab es Kontakte zwischen der SS und der Bevölkerung?
Henle: Zum Ortsgruppenleiter hatte die SS keinen Kontakt. Aber sie kam in die Bisinger Wirtshäuser.
Frage: Wie ging die Auf lösung des Lagers vor sich?
Henle: Das Lager wurde am 14.4.45 aufgelöst. Die Häftlinge wurden wie Holz in die Eisenbahnwaggons gestapelt; allein dabei gab es ungefähr 20 Tote.
14 Tage nach der Lagerauflösung kamen die Franzosen. Das Lager war noch völlig erhalten, SS und Häftlinge waren schon weg. Nur noch Zivilpersonen waren da. Die Randale im Ort haben Zivilfranzosen und -Russen gemacht, die von der Organisation Todt dienstverpflichtet waren.
Nach dem Krieg wurde der Schieferabbau durch die Franzosen bis Juni 1946 weiter betrieben. Die ehemaligen Nazis wurden zur Arbeit eingesetzt.
Eisenhändler und 20 Schweißer aus dem Rheinland bauten später das Lager ab und wurden reich dabei.
Die Toten des Massengrabes wurden 1946 durch Internierte des Balinger Lagers umgelegt auf den heutigen KZ-Friedhof.
Frage: Wie war Ihr Verhältnis zu den Franzosen?
Henle: Da könnte ich viel erzählen. Die Franzosen haben mich schwer mißhandelt; sie wollten nur Geständnisse erpressen, deswegen habe ich vor Wut die Liste der Häftiinge verbrannt. Sie haben mich erst in Ruhe gelassen, als ein Brief eines ehemaligen Häftlings, der bei mir Lagerist war mich entlastete.
Frage: Was meinen Sie zu dieser Dokumentation?
Henle: Ja, das ist wahr, was da drin steht!